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Die Transitstrecke



Das Tief über Dänemark wurde langsam durch ein über Frankreich heraufziehendes Hoch verdrängt. Es könnte am Morgen noch zu leichten Regenschauern kommen, was nicht gerade ideal, aber doch akzeptabel für die seit längerem geplante Fahrt von Lübeck nach Berlin war. Anfang November ist nicht unbedingt mit einem strahlenden Sonnentag zu rechnen.

Die Fahrt soll der alten Transitstrecke folgen, die nach dem Transitabkommen von 1972, bis zum Bau der Autobahn, von Horst nach Staaken über die ehemaligen Landstraße 5 verlief, was in etwa dem Verlauf der heutigen B5 entspricht.

Der Freund und ehemalige Kommilitone fuhr, wie verabredet, um 10:00 Uhr vor und es hätte auch gleich los gehen können, wäre da nicht ein technisches Problem aufgetreten. 
Das Handy des Beifahrers musste mit dem Autoradio gekoppelt werden. Ein Vorgang, dem es an Rutine mangelte. 
Die Verbindung mit dem Handy war aber wichtig, da hier die Playlist mit der Musik der 70ger aufgelegt war. Die Musik sollte helfen sich in die Fahrten über die damalige Strecke zurück zu versetzen. 



Dabei durfte selbst Paul Kuhn und sein SFB-Tanzorchester nicht fehlen. Swing wurde unvermeidlich zu später Stunde im RIAS oder SFB gespielt. Er gehörte dazu, wenn man sich Berlin näherte und auf der Mittelwelle die Berliner Sender im Autoradio empfangen konnte. Es traf zwar nicht ganz den Musikgeschmack, die Begeisterung für Swing hielt sich bei der damaligen Studentengeneration in Grenzen, zur Identität der beiden Berliner Sender gehörte aber Bigband Jazz, der eine Freiheit suggerierte, die wohl im Gepäck der Alliierten mit nach Deutschland gekommen war. 



Ganz anders der Sender AFN. Auch den konnte man während der Anfahrt auf Berlin empfangen. Hier gab es zu später Stunde die Wolfman Jack Show, die mit einem Geheul begann, dem, Klammer auf, soweit die Erinnerung nicht trügt, Klammer zu, der Spruch folgte: „And the Wolfman looked down to the world and when he saw that everything was good he said ROCK AND ROLL!“
American Forces Network (AFN) war in Berlin der Hörfunk- und Fernsehsender der US-amerikanischen Streitkräfte. Mit einer Zusatzplatine konnte man sogar das Fernsehprogramm empfangen, da dieses ansonsten für amerikanische Fernsehergeräte ausgelegt und somit nicht mit den deutschen Geräten kompatibel war.
Namen wie „Rundfunk im amerikanischen Sektor“ (RIAS) und „Sender Freies Berlin“ (SFB) gibt es heute nicht mehr. Nach dem Fall der Mauer waren die Namen wohl nicht mehr politisch korrekt. 

Nachdem die Blue-tooth Verbindung hergestellt war, konnte die Fahrt beginnen. Das erste Musikstück war dann doch nicht Rock&Roll sondern "In the Mood" , von Paul Kuhn und dem SFB-Tanzorchester, was irgendwie auch passte. 



Die Fahrt ging über Ratzeburg Richtung Lauenburg zum ehemaligen Grenzübergang HORST oder „Sektorenübergang“, wie es im damaligen westdeutschen Sprachgebrauch hieß. Die erste Kontrolle fand aber schon auf  westdeutscher Seite statt, welche im Vergleich zu dem was dann an deutscher Gründlichkeit folgen sollte, lässig genannt werden konnte. Auch wenn es mit den wirklich lässigen Kontrollen bei der Einreise nach Frankreich, wohlgemerkt auf der französchen Seite, nicht zu vergleichen war.



Der Ausdruck „Sektorenübergang“, ging aus Sicht der so genannten DDR, gar nicht und deshalb war ein Reisepass zur Vorlage bei der Grenzkontrolle unabdingbar. Damit wurde demonstriert, dass man die Grenze zu einem anderen Staat überschritt. Verbunden war der Grenzübertritt meist mit Wartezeiten. Abgeben des Passes und langes stehen in der Autoschlange.
Vielleicht taten den DDR-Offiziellen die armen Westdeuten in der Warteschlange doch etwas leid und deshalb kam, wohl zur Unterhaltung, immer ein Grenzsoldat ans Auto mit der Frage: „Haben Sie Waffen, Sprengstoff oder Munition dabei?“. Auf solch eine Idee wäre kaum jemand gekommen, man war versucht zu lachen oder weil man die Frage gar nicht erst nahm „ja“ zu sagen, tat aber gut daran, es sich zu verkneifen. Es war zu befürchten, dass sich die Kontrolldauer auf unbestimmte Zeit verlängert würde, denn die DDR-Grenzsoldaten waren gegenüber den Benutzern der Transitstrecke, in der Regel, völlig humorlos. 
Es gab aber auch solche Episoden. Ein schon etwas älterer Grenzsoldat, kam manchmal zur Rückgabe der Pässe an die Beifahrerseite des Autos und brüllte dann den Namen des Passinhabers im Kasernenhofton in das offene Autofenster. Der Passinhaber antwortete dann meist, leicht eingeschüchtert, „ja“ oder „hier“. 
Als Folge eines die Wartezeit verkürzenden Herumalberns im Auto passierte es dann aber, dass der Passbesitzer im gleichen Tonfall „Jawoll“ zurückbrüllte um dann selbst erschrocken abzuwarten, wie der Grenzsoldat darauf reagieren würde. Widererwartend fing dieser laut an zu lachen und gab den Pass zurück. Man hatte fast den Eindruck, er habe schon immer auf solch eine Antwort gewartet.
 Endlich, wenn das Ende der Schlange erreicht war, durfte man auf Handzeichen des Grenzers, vorfahren. Jetzt aber bloß nicht aus Versehen etwas zu schnell. Ein Vergehen, das mindestens zu einem bösen Gesichtsausdruck und einer unfreundlichen Ansage führte. Der Pass war abgestempelt und wurde nach besagter demonstrativer Gesichtskontrolle zurückgegeben. Die Fahrt über die Transitstrecke konnte beginnen. 





Wie die Namen der alten Berliner Sender, ist jetzt auch jegliche Spur des DDR-Kontrollpostens verschwunden. Es gibt nur noch ein Hinweisschild „Willkommen in Mecklenburg-Vorpommern“. 

Aber es ging nicht nur um den Weg. Es gab auch noch einen Ort, der auf jeden Fall angefahren werden sollte. Zur Zeiten der sogenannten DDR war es nicht möglich hier zu halten. Erlaubter Haltepunkt war die Raststätte Perleberg und ein weiterer unfreiwilliger, der Bahnübergang in Karstädt. 








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Jens Nicolas

3.7.25, 08:19

Authentisch, ein Ausflug in eine vergangene Zeit

Ich kann leider nicht auf Bellas Profil klicken aus dem Kommentar.

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Bella Bender

26.1.24, 13:16

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